Kreis Steinfurt. Wir schreiben April 1974. Willy Brandt steht in seinem letzten Jahr als Bundeskanzler der BRD. Die Wiedervereinigung ist 16 Jahre entfernt. Bayern München gelingt zum insgesamt vierten Mal die Meisterschaft in der Bundesliga. Und - natürlich - die Bundesrepublik Deutschland wird unter Nationaltrainer Helmut Schön und Kapitän Franz Beckenbauer Weltmeister. Aber sportlich passiert in diesem Jahr noch etwas Großes: Im zarten Alter von 14 Jahren macht der Emsdettener Michael Schölling (SV Borussia Emsdetten) seinen Schiedsrichterschein. Es soll der Beginn einer langen Karriere werden.
Heute, 50 Jahre später, ist vieles anders. Deutschland ist wiedervereint, der Bundeskanzler heißt Olaf Scholz und der ewige FC Bayern wurde als Deutscher Meister von Bayer Leverkusen abgelöst. Eine Konstante ist geblieben: Michael Schölling, gerne auch „Mike” genannt, ist noch immer als Schiedsrichter aktiv. Zum großen Jubiläum hat Louis Wegmann von der Schiedsrichtervereinigung Steinfurt mit ihm gesprochen.
Mike, wie bist du damals zur Schiedsrichterei gekommen? „Das kam mehr oder weniger durch die Schule. Mein Sportlehrer hat in den Klassen nachgefragt, wer einen Schiedsrichterlehrgang mitmachen wollte. Dann habe ich mich gemeldet und wurde nach Warendorf ins Bundessportzentrum geschickt. Den Lehrgang hat der damalige Bundesliga-Schiedsrichter Manfred Wichmann geleitet. Das war eine große Ehre.” Der junge Schölling war von Anfang an motiviert, wollte Erfahrung sammeln und aufsteigen. Ganze Nachmittage und Wochenenden gingen fürs Pfeifen drauf: „An manchen Tagen habe ich drei Spiele gepfiffen. Um 13 Uhr war beim ersten Spiel Anpfiff, um 18 Uhr beim letzten Abpfiff.”, berichtet er schmunzelnd.
Als Schiedsrichter in der Landesliga und Linienrichter in der Amateuroberliga (damals 4. Liga, Anm. d. Red.) machte sich Schölling in seinen 20ern einen Namen. An welches Spiel er sich besonders gerne zurückerinnere? „Da fallen mir spontan drei ein – alle als Linienrichter in der Amateuroberliga Mitte der 80er Jahre: Zuerst ein Spiel des 1. FC Recklinghausen gegen Arminia Bielefeld im Gespann mit Hans-Dieter Schnippe und Manfred Eilers. Unsere Ankunft hatte sich verspätet, weil Manfred uns sein neues Haus zeigen musste. Mit einer Polizeieskorte wurden wir dann schnell zum Stadion gebracht, wo etliche tausend Zuschauer im und vor dem Stadion warteten. Wegen des Zuschauerandrangs verzögerte sich der Anstoß. Das zweite Highlight meiner Karriere fand in Münster statt: An einem Donnerstagabend spielte Preußen Münster gegen den ASC Schöppingen unter Flutlicht vor 8000 Zuschauern. Schiedsrichter war Karl-Heinz Gochermann, der andere Linienrichter mein Kollege Christian Schräer (später Bundesliga-Schiedsrichter, Anm. D. Red.). Und dann war da noch ein Oberliga-Austauschspiel in West-Berlin. Schiedsrichter war wieder Hans-Dieter Schnippe, der andere Linienrichter unser damaliger Schiedsrichter-Obmann Reinhard Froning. Freitags sind wir angereist, sonntags ging es zurück. Das war ein Erlebnis.”
Neben so vielen schönen Erfahrungen gibt es immer auch Rückschläge. Welche gab es bei dir? “Natürlich wäre ich gerne noch ein oder zwei Ligen weiter aufgestiegen. Sportlich war ich das auch. Allerdings habe ich mich, als die Aufsteiger feststanden, nicht auf dem veröffentlichten Bogen aller Aufsteiger wiedergefunden. Ich hatte in der Folge einen kleinen Disput mit Reinhard Froning. Das war aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Manche Sachen muss man irgendwann einfach vergessen können. Mit der Zeit und der Erfahrung wird man reifer.”
Stichwort Erfahrung: In 50 Jahren Schiedsrichtertätigkeit erlebt man natürlich so einiges – Aufstiege und Abstiege von Mannschaften, kuriose Spiele, Wandel von Sportanlagen. „Ein normaler Sonntag war früher bei vielen strikt getaktet. Morgens ging es in die Kirche, dann zum Frühschoppen und anschließend als Zuschauer auf den Sportplatz. Die Sportanlagen waren damals auch noch ganz anders. Während die allermeisten heutzutage über eine Schiedsrichterkabine verfügen, musste ich mich damals bei einem Kreisliga-Spiel in der Weiner in einem Kuhstall umziehen und mit einem Schlauch abduschen. Dieses Spiel war sowieso besonders. Der siegessichere Gast aus Mesum war als Tabellenführer und haushoher Favorit mit einer Menge Fans angereist. Irgendwie hat es Schwarz-Weiß Weiner aber geschafft, die Mesumer Party zu crashen und zu gewinnen.”
Wenn das Wetter mitspielt und die Kilometerzahl passt, fährt Mike Schölling von Emsdetten aus mit seinem E-Bike zu den verschiedenen Plätzen im Kreis – am liebsten verbunden mit einer Fahrradtour mit seiner Lebensgefährtin. „Ich freue mich immer über Ansetzungen. Sonntags fehlt einfach etwas, wenn kein Fußballspiel ansteht. Auch mal ein Wochenende frei zu haben ist zwar schön, aber danach möchte ich wieder zurück auf den Platz.” Was ihn heute noch besonders antreibt? „Definitiv, dass ich eine sportliche Aktivität mit sozialem Austausch verbinden kann. Ich treffe immer wieder alte Bekannte und Menschen aller Nationalitäten. Das ist ein wundervoller Anreiz.”
Apropos: Gibt es Weggefährten von damals, mit denen du auch heute noch etwas zu tun hast? „Na klar. Mit Christian Schräer, der gleichzeitig mein Arbeitskollege ist, frühstücke ich häufiger zusammen. Auch zu Hans-Dieter Schnippe halte ich Kontakt. Als Karl-Heinz Reckenfelderbäumer noch gelebt hat, hatte ich zu ihm einen sehr guten Draht. Er war es, der in meiner Anfangszeit als Schiri eine Art “Ziehvater” war.” Mit 64 Jahren ist für Mike Schölling aber noch nicht Schluss. Was wünscht du dir für die Zukunft? „Gesundheit. Das ist für mich das Wichtigste.” An die jüngeren Schiris hat er einen guten Rat: „Bleibt als Clique geschlossen. Früher waren wir Einzelkämpfer. Zusammen ist die Schiedsrichterei einfach schöner, das stelle ich heute immer wieder fest.” 50 Jahre Schiedsrichter. Für Schölling gilt nach vielen Erlebnissen mit Höhen und Tiefen: „Pfeifen ist schön.”